
Kieferorthopädische Behandlung – was ist medizinisch notwendig?
09. April 2025Zwischen Ästhetik und Medizin – wann braucht man eine Zahnspange wirklich?
In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Zahnspange oft mit kosmetischen Zielen verbunden – ein schöneres Lächeln, gerade Zähne, ein harmonisches Gesichtsbild. Doch hinter vielen kieferorthopädischen Behandlungen stehen weit mehr als ästhetische Wünsche. In zahlreichen Fällen ist eine Korrektur der Zahn- oder Kieferstellung medizinisch erforderlich, um langfristige gesundheitliche Probleme zu vermeiden oder bestehende Beschwerden zu lindern.
Gerade im Kindes- und Jugendalter können unbehandelte Fehlstellungen die normale Entwicklung von Gebiss, Kiefergelenken und sogar der Gesichtsknochen beeinträchtigen. Auch bei Erwachsenen gibt es Situationen, in denen eine kieferorthopädische Therapie aus rein medizinischer Sicht angezeigt ist – etwa zur Vorbereitung auf eine zahnärztliche Versorgung, zur Entlastung der Kiefergelenke oder zur Behandlung von funktionellen Beschwerden.
Was bedeutet „medizinisch notwendig“ in der Kieferorthopädie?
Die medizinische Notwendigkeit wird anhand fester Kriterien beurteilt. Zahnärztinnen und Kieferorthopäden orientieren sich dabei unter anderem an den sogenannten kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG), die insbesondere im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung eine wichtige Rolle spielen.
Diese KIG-Einstufung unterteilt Zahn- und Kieferfehlstellungen in verschiedene Schweregrade – von leichter Abweichung (KIG 1) bis hin zu gravierenden funktionellen Einschränkungen (KIG 5). Eine Behandlung gilt in der Regel dann als medizinisch notwendig, wenn eine KIG-Stufe von 3 oder höher vorliegt. Dann übernehmen gesetzliche Krankenkassen auch die Kosten, zumindest anteilig. Bei Privatversicherten ist die Notwendigkeit häufig individueller zu prüfen.
Doch auch unabhängig vom KIG-System kann eine kieferorthopädische Therapie medizinisch gerechtfertigt sein – etwa bei chronischen Schmerzen, bei eingeschränkter Mundöffnung, bei massiven Engständen oder bei krankhaften Veränderungen der Kiefergelenke.
Welche Fehlstellungen gelten als medizinisch behandlungsbedürftig?
Nicht jede schiefe Zahnreihe erfordert automatisch eine Therapie, doch es gibt zahlreiche Fehlstellungen, bei denen der Eingriff medizinisch angezeigt ist:
Tiefbiss: Wenn die oberen Schneidezähne die unteren fast vollständig überdecken und dadurch das Zahnfleisch oder die unteren Zähne beschädigen.
Kreuzbiss: Wenn einzelne Zähne des Oberkiefers hinter denen des Unterkiefers liegen, was zu Kiefergelenksbelastungen und asymmetrischem Wachstum führen kann.
Offener Biss: Wenn die Frontzähne beim Zusammenbeißen keinen Kontakt haben – oft verbunden mit Sprachfehlern oder Kaubeschwerden.
Verlagerte Zähne: Wenn Zähne außerhalb der Zahnreihe durchbrechen oder komplett im Kiefer verbleiben – das kann umliegende Strukturen schädigen.
Starker Engstand: Wenn der Platz im Kiefer nicht ausreicht, sich die Zähne gegenseitig verschieben und sich nicht richtig reinigen lassen, steigt das Karies- und Parodontitisrisiko.
Rücklage des Unterkiefers (Distalbiss) oder Vorverlagerung (Mesialbiss): Diese Abweichungen können das Kauen erschweren, die Aussprache verändern und das Gesichtsprofil unharmonisch wirken lassen.
Bei diesen und weiteren Fehlstellungen ist eine kieferorthopädische Korrektur aus funktioneller Sicht wichtig – nicht nur um Beschwerden zu vermeiden, sondern um spätere, oft aufwendigere Behandlungen zu verhindern.
Wann wird die Behandlung empfohlen – und wie wird entschieden?
Die Entscheidung, ob eine kieferorthopädische Behandlung medizinisch notwendig ist, wird stets individuell getroffen. Sie beruht auf einer gründlichen Diagnostik, bestehend aus:
klinischer Untersuchung,
Analyse von Kiefermodellen oder digitalen Scans,
Röntgenaufnahmen (z. B. Panorama oder Fernröntgenseitenbild),
Bissanalyse,
Funktionsprüfung der Kiefergelenke und Muskulatur.
In der Praxis Dr. Barloi in Schloß Holte-Stukenbrock wird großer Wert auf eine ausführliche Befundaufnahme gelegt. Dabei wird nicht nur auf das sichtbare Erscheinungsbild geachtet, sondern auch auf die tieferliegenden Ursachen einer Fehlstellung und die funktionellen Zusammenhänge im gesamten Kausystem.
Wird eine medizinische Notwendigkeit festgestellt, folgt die Erstellung eines Behandlungsplans mit Begründung, der bei gesetzlich Versicherten zur Genehmigung durch die Krankenkasse eingereicht wird.
Auch Erwachsene können medizinischen Bedarf haben
Die Vorstellung, dass nur Kinder und Jugendliche eine medizinisch notwendige Behandlung erhalten können, ist überholt. Immer mehr Erwachsene entscheiden sich heute für eine Korrektur aus funktionellen Gründen. Zum Beispiel dann, wenn durch Zahnverlust Lücken kippen oder sich Bisslagen verändern. Auch bei der Vorbereitung auf Implantate oder Zahnersatz kann eine vorherige Korrektur nötig sein, damit die Versorgung langfristig stabil funktioniert.
Kiefergelenksbeschwerden wie Kieferknacken, Schmerzen beim Kauen, Kopfschmerzen oder nächtliches Zähneknirschen können ebenfalls durch kieferorthopädische Maßnahmen verbessert werden – insbesondere, wenn die Beschwerden auf Fehlbelastungen durch eine fehlerhafte Bisslage zurückgehen.
In diesen Fällen erfolgt die Versorgung in enger Zusammenarbeit zwischen Kieferorthopädie und anderen Fachdisziplinen – wie der Zahnmedizin, Physiotherapie oder in seltenen Fällen der Kieferchirurgie.
Fazit – medizinische Notwendigkeit ist mehr als ein Formular
Ob eine Zahnspange medizinisch notwendig ist, hängt nicht nur vom äußeren Erscheinungsbild ab. Vielmehr spielen funktionelle, gesundheitliche und entwicklungsbedingte Faktoren eine Rolle. Eine gründliche Untersuchung ist die Grundlage jeder fundierten Entscheidung. Wenn eine Behandlung erforderlich ist, kann sie nicht nur das Kauen und Sprechen verbessern, sondern auch spätere Probleme vermeiden.
In der Praxis Dr. Barloi werden medizinische Notwendigkeit, therapeutischer Nutzen und individuelle Wünsche immer gemeinsam betrachtet. Denn eine Zahnspange ist nicht nur ein Werkzeug zur Korrektur – sie ist ein Instrument für Gesundheit, Stabilität und langfristiges Wohlbefinden.